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Das Sommerloch
Gegen Ende des Sommers darf berechtigt gehofft werden, kein Sommerloch mehr vorfinden zu müssen, zumal die Wahlen vor der Tür stehen. Aber nicht einmal diese haben das Zeug, die Ruhe und Leere der heißen Jahreszeit zu beeinträchtigen. Das funktioniert wirklich, passiert mir aber eher zufällig. Vielleicht weil ich Nachrichten rechtzeitig abdrehe. Oder rechtzeitig wegschaue oder weghöre. Das erlaubt schließlich Blicke auf Dinge, die wohl immer schon oder sehr lange schon so sind, wie sie sind, aber noch keiner Hinterfragung unterzogen wurden.
Zum Beispiel, warum eigentlich sich Motorradfahrer und natürlich Motorradfahrerinnen grüßen. Früher, ist mir das noch nicht so aufgefallen, da sind diese damals noch fast ausschließlich Motorradfahrer mit einem solchen Affentempo durch die Gegend gedonnert, dass es wohl ein Risiko gewesen wäre, eine Hand vom Lenker zu nehmen. Da wäre beim zarten Heben der Hand oder schon beim Loslassen des Lenkers der Fahrtwind derart zwischen Mensch und Maschine hineingefahren, dass es die Fahrer wohl seitlich wie eine Bananenschale vom Motorrad gezogen hätte. So schnell kam es einem zumindest vor, als Kind. Fahrer mit den gleichen Automarken grüßen sich nicht. Alle gemeinsam warnen aber ganz solidarisch mit der Lichthupe, wenn die Polizei kontrolliert, rudimentäre Anlagen von Solidarität sind also irgendwo versteckt und also ausbaufähig. Vielleicht sind die Motorradfahrerinnen wahlhelfend unterwegs, und die kleine Geste bedeutet „Hallo, Kamerad, fahr nicht zu schnell und beachte die großen Ideen, die an den Strassenrändern plakatiert sind und uns nachhaltig beeindrucken!“ Da wurde auch ich angesteckt, von zwei sich grüßenden Motorradfahrern, und bin mitten auf den südoststeirischen Bundesstrassen widerstandslos in den Wahlkampf gezogen worden. Ich habe mich gehen lassen. Die Fahrt dauerte nicht lange, für ein paar Eindrücke hat es gereicht. Gemeinsam mit ein paar weiteren Informationsfetzen aus Radio, TV und Zeitung stürzen mich diese in ein ordentliches Dilemma.
Eine Partei wirbt mit sicherer Hand für die Pensionen. Wollte die wohl jemand abschaffen? Das ist tatsächlich an mir vorübergezogen, klingt aber ein wenig verängstigt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das jemand möchte. Es waren gar nicht von allen Parteien Plakate zu sehen, die kommen wohl erst noch mit aller Wucht. Die rechte Ecke, das war nicht zu übergehen, wachelt wieder mit dem Kreuz und arbeitet mit einem der zehn Gebote. In einem sogenannten Streitgespräch mit einem Schriftsteller hat der Zahntechniker gemeint, außerhalb eines politischen Lebens könne er sich vorstellen, vielleicht auch Schriftsteller zu werden, wer weiß, und ein einziges Mal hat mich ein Posting in einer Online-Ausgabe einer Tageszeitung erheitert. Da hat einer gemeint, man solle ihn doch schriftstellermäßig gewähren lassen, weil man erinnere sich an einen verhinderten Postkartenmaler, wobei er den Chef schon ein wenig überschätzt. Wenn er einfach seinen Beruf wieder ausüben würde, wäre es auch getan, lässt sich doch Geld damit verdienen. Zähne werden immer kaputt, die Branche ist gleich krisensicher wie die Alkoholherstellungsindustrie.
Die Felder rechts und links der Strasse sind entsetzlich ausgedorrt. Der Sommer hat seine Spuren hinterlassen. Auf den Apfelbäumen hat die Sonne mitunter richtige Bratäpfel hinterlassen. Angeblich war alles schon einmal da, auch wenn jetzt von Rekordhitzen die Rede ist. Ich denke auch, dass alles schon einmal da war. Im Radio höre ich, dass es jetzt aber losgehe mit dem Wahlkampf, unter anderem mit Interviews. Meinungsforscher erzählen ganz kurz, worauf es für Menschen aus der Politik ankomme, um sich in Erinnerung zu bringen und dort zu halten. Die Begriffe “Inhalt“ und „Argument“ kommen darin nicht oder nur am Rande vor.
Als nächstes lese ich „Wer einmal stiehlt, den wählt man nicht“. Das kommt von „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“. Da eröffnet sich ein weiteres Dilemma. Nämlich der Wunsch, dass hier wenigstens einmal gelogen wurde. Kürzlich wurde nämlich von der Spitzenkandidatin festgehalten, dass Abschiebungen auch in Wahlkampfzeiten in Ordnung wären. Auch wenn vielleicht darauf abgezielt wurde, den Regierungsparteien einen schwarzen Peter zuzuschieben, wünsche ich mir trotzdem innigst, dass hier gelogen wurde und Abschiebungen prinzipiell nicht pauschal für in Ordnung gehalten, sondern zuerst in Frage gestellt werden. Wenn das jetzt hoffentlich also gelogen wäre, kann man sie also nicht wählen, in Österreich wird das alles aber nicht so eng gesehen.
Eine Partei wiederum, die noch keine Plakate aufgehängt hat, will einfach den Kanzler stellen. Das finde ich gut, das ist überschaubar und schnörkellos. Wenn sonst nichts dazu erzählt wird, ist es inhaltlich auch nicht weniger als zum Beispiel für Pensionen zu sein oder für sonstige Errungenschaften, die schon einige Jahrzehnte alt sind. „Mit sicherem Rad für unsere Bundesstrassen“ wäre ein toller Slogan. In einem Satz genau nichts zusammengefasst und für jeden etwas dabei. Nichts gelogen und nichts gestohlen, also wählbar, ein crossover für alle, motorisiert oder nicht. Kaum wer könnte sich darüber aufregen, weil nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit dem Autobus gefahren wird, über die Bundesstrassen, die niemand abschaffen möchte. Wahrscheinlich ist in Österreich ohnehin alles so unglaublich in Ordnung, dass weitblickend bereits auf Dinge aufmerksam gemacht wird, die abzuschaffen irgendwelchen Verrückten einfallen könnte. Ein Philosoph hatte einmal gemeint, dass Menschen vor Dingen und Zuständen warnen, die sie gedanklich in einer dunklen Stunde auch schon für sich selbst in den Bereich des Möglichen gehievt haben. Wer hat noch nie jemanden in Gedanken umgebracht? Was die Bundesstrassen betrifft, bin ich hundertprozentig geständig, dass ich sie mir manchmal gerne vom Hals schaffen würde, so wie den gesamten Autoverkehr, weil ich gerne mit dem Zug fahre, wohlwissend, dass es Unfug wäre, Strassen abzuschaffen, anstatt einfach die Regeln ein wenig konsequenter zu kontrollieren. „Ja zu Arbeitsplätzen“ griffe ebenso nicht zu kurz, wollen wir alle, brauchen wir alle, niemand will sie nicht, die Bedingungen sollen stimmen.
Ich denke, solch Schmonzes würde reichen, um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen. Hätti wari. In Deutschland heißt das „hätte hätte Fahrradkette“. In Dänemark warb ein Spaßvogel vor vielen Jahren mit der Garantie von Rückenwind für alle Fahrradfahrer, er hat den Einzug in das politische Gremium geschafft, in das er wollte. Wie viel Geld für alles das ausgegeben wird ist eine andere Geschichte. Die Politik in Regierung und Opposition, die tatsächlich während einer fünfjährigen Legislaturperiode gemacht wird, reicht offenbar nicht, um damit ausreichend Werbung zu machen. Ließen wir doch einen Wahlkampf einfach aus und hülfen mit dem vielen Geld, das verbrannt wird, denen, die das Geld wirklich brauchen, das sind in diesem Land sehr viele. Das wären sehr viele Wählerstimmen. Hätti wari.
(Cc) pic: Stephan Wolschon Red_One ...
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